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BLOG vom: 30.11.2023

Počitelj an der Neretva (Bosnien und Herzegowina) – Festung der Ungarn und osmanisches Bollwerk gegen Venedig

 Autor: Dr. H. L. Wessling, Osteuropahistoriker und Slawist, Deutschland
 
 


 

Auf halbem Weg zwischen dem Neretva-Delta an der Adria und dem Touristenmagnet Mostar mit seiner wiederaufgebauten historischen Brücke befindet sich ein Juwel sowohl des frühneuzeitlichen christlichen Festungsbaus als auch insbesondere osmanischer Kultur und Architektur der frühen Periode der türkischen Eroberung des Balkans.

Pittoresk über der tiefgrünen Neretva gelegen, dem einzigen Fluss, der die Dinarischen Alpen in Nord-Süd-Richtung durchbricht, war Počitelj geografisch ein idealer strategischer Standort.

Die am höchsten Punkt über der um einen Berg angelegten Siedlung thronende Festung stammt vermutlich aus der Zeit des ersten bosnischen Königs Tvrtko I. (1338-1391) und wurde im frühen 15. Jhd. durch die Souveränmacht Ungarn unter Matthias Corvinus, unterstützt von der Republik Ragusa (Dubrovnik), systematisch ausgebaut, um Angriffe der Osmanen abzuwehren.

 


 

Am 19. September 1471 brachte ein osmanisches Janitscharen-Regiment die Festung unter seine Kontrolle. Počitelj wurde von da an zu einem Bollwerk gegen die von Venedig beherrschte Küstenregion Dalmatien ausgebaut.

Der systematischen Erweiterung der Siedlung durch die Osmanen im 16. Jhd. verdanken wir ein bis heute gut erhaltenes Beispiel orientalischer Städtebaukunst auf dem Balkan. Ein Hamam (Dampfbad), eine Medrese (Koranschule), ein Han (Gasthaus) sowie ein Sahat Kula (Uhrturm) sind unverzichtbare Zeugen osmanischer Architektur.

 


Hamam (große Kuppel) und Medrese
 

Die Moschee des Šišman Ibrahim-Paša stammt aus den Jahren 1562/63. Auffällig ist das besonders hohe Minarett, das wohl eine strategisch-militärische Bedeutung hatte, da man von oben das Neretva-Tal weit überblicken konnte.

 


 
 


 

Nach einer kurzen Phase venezianischer Rückeroberung (1693-1718) endete die omanische Herrschaft über Počitelj erst 1878 mit dem Übergang der Siedlung ins Protektorat Österreich-Ungarn. Damit verlor Počitelj endgültig auch seine strategische Bedeutung.

In den jugoslawischen Sezessionskriegen zwischen 1992 und 1995 wurde Počitelj zuerst von serbischen Truppen und danach von der pro-kroatischen bosnischen Befreiungsarmme (HVO) angegriffen und verwüstet. Letztere deportierten unter der Fahne der sogenannten Republika Herceg Bosna zahlreiche muslimische Einwohner in Straflager. Die zerstörten historischen Gebäude und die Moschee wurden bis 2002 wieder restauriert und rekonstruiert.

Počitelj ist inzwischen ein viel besuchter Ausflugsort von Adria-Touristen und verfügt neben den üblichen Andenken-Ständen auch über eine empfehlenswerte Gastronomie mit bosnischen Spezialitäten sowie über einige Unterkünfte.

 

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